Von Wahlen, Andreas Eschbach und dem „Nationalen Sicherheits-Amt“

 

Ich bin kein politischer Autor, und eigentlich wollte ich mein „Geht wählen!“-Geschrei auf meiner privaten Facebook-Seite posten. Dann war ich gestern auf der großartigen BuCon in Dreieich, hab dort großartige Leute kennen gelernt und einen großartigen Tag verbracht, gekrönt von einer Lesung des großartigen Andreas Eschbach. Völlig unvorbereitet wie ich war, wusste ich nichtmal, dass es einen neuen Eschbach gibt, und als ich dieses Buch da so liegen sah, hab ich begeistert und ohne jedes Zögern zugegriffen. Immerhin liebe ich Eschbachs Schreibe, sie ist unglaublich flott, hervorragend recherchiert, hochinformativ und trotz aller Infofracht so süffig wie ein Hefeweizen nach einer Fahrradtour. Dazu kommen tolle Figuren, tolle Bilder, tolle Dialoge, kurzum, ein Andreas Eschbach ist immer ein tolles Erlebnis.

 

Also hab ich mir einen Platz in der Lesung ergattert und angefangen mich mit dem Buch zu beschäftigen, das ich gerade blind gekauft hatte. „Was wäre, wenn es im Dritten Reich schon Computer gegeben hätte, das Internet, E-Mails, Mobiltelefone und soziale Medien – und deren totale Überwachung?“ So steht es im Programmheft der BuCon 2018, und als ich das so lese, streicht mir ein kühler Wind ins Genick.

 

Die Nazis und die Überwachung

 

Da kommt Andreas Eschbach also zur Tür rein, setzt sich auf seinen Stuhl, holt sein Buch hervor, lächelt freundlich ins Publikum und erklärt, dass er da ein neues Buch geschrieben habe. Dann, endlich, beginnt er zu lesen.

 

Eins vorweg: Lesungen sind toll, aber sie sind auch anstrengend. Menschen um einen herum, die Luft wird immer schlechter, man muss sich auf die Stimme konzentrieren – und wenn man schon ein paar Lesungen intus hat, gehen die Gedanken gerne mal auf Wanderschaft.

Bei dieser Lesung nicht.

Drei schwarze Limousinen fahren beim Nationalen Sicherheitsamt vor, SS-Männer steigen aus, bei ihnen ist Heinrich Himmler, und gemeinsam besuchen sie eine Präsentation, die im Amt stattfinden soll. Und recht trocken beginnt die Präsentation, über Bürgernummern und Kauf-Transaktionen, die jedem Bürger lückenlos zugeordnet werden können, da alle Geschäfte ja nur noch bargeldlos ablaufen und damit erfasst und aufgezeichnet werden. Für Himmler ist es längst kalter Kaffee, dass verräterische Gesinnungen und Reden in den Telefonaten, elektronischen Briefen und Forendiskussionen überwacht und erkannt werden können. Aber darauf will August Adamek, der Präsentationsleiter ja gar nicht raus…

 

Von Lebensmittelkäufen fängt Adamek plötzlich an, von Kalorien, die in diesen Lebensmitteln stecken und von der durchschnittlichen Menge, die die Bürger in diesen Zeiten der Rationierung zu sich nehmen. Natürlich gebe es bei dieser durchschnittlichen Menge Schwankungen, räumt Adamek ein,

 

„ >>Aber wenn der Kalorienverbrauch eines Haushalts eine gewisse Höhe überschreitet […] ein solcher Ausreißer kann ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass in dem betreffenden Haushalt mehr Menschen leben, als gemeldet sind. Zum Beispiel<<, fügt er hinzu, >>Menschen, die vor dem Gesetz versteckt werden.<< Himmler hatte die Hände gefaltet, rieb sie sich bedächtigt. >>Das klingt gut<<, sagte er anerkennend. >>Das klingt sehr gut.<<“ [Zitat aus „NSA“, Andreas Eschbach, S.30]

 

Dann verlangt Himmler eine Demonstration. Er bekommt sie. Die Zuhörer und Leser auch. Und ich fange wirklich an zu frieren.

 

Ein Alternativweltroman, der nicht wirklich einer ist.

 

Ob das Buch von Robert Harris´ „Vaterland“ inspiriert sei, fragt einer der Zuhörer, worauf Andreas Eschbach wieder dieses milde Lächeln aufsetzt. Er kenne es natürlich, auch „Das Orakel vom Berge“ und Co. Aber es gehe ihm nicht darum zu zeigen, was geschehen wäre, wenn die Nazis an die Macht gekommen wären. Dass die Nazis schlimme Finger sind und schlimme Dinge getan haben, wurde schon unglaublich oft gezeigt. Ihm gehe es darum zu zeigen, was diese schlimmen Finger noch alles hätten anstellen können, wenn sie eine Informationstechnologie zur Verfügung hätte, wie wir heute. Da wird es eine zeitlang sehr still im Lesungsraum.

 

Er sei ja aus der IT-Branche, erklärt er dem Publikum, und das, was die NSA in dem Buch an Technik zur Verfügung habe, sei aus unserer Sicht im besten Fall ein Basic an Überwachungsmöglichkeiten. „Wir kaufen uns unsere Wanzen selbst und nennen sie Alexa“, sagt er, wobei das frei zitiert ist. Ich weiß nicht mehr, ob er diesen Satz ganz genau so gesagt hat, so jedenfalls klingt er in meinem Ohr wider.

 

Vom Informationskrieg und den Wahlen und Alternativen, die keine sind.

 

Und heute Morgen klingt mir dieser Satz wieder in den Ohren: Ich schwinge mich um acht aus dem Bett, hüpfe ins Auto und mache mich auf den Weg zum Wahllokal. Der Morgen ist herrlich, die Fränkische Schweiz badet in goldenem Licht, das auf die wunderschöne Landschaft fällt. „Wir ruhen uns aus“, denke ich mir, „wir denken, es kann uns nichts passieren, weil uns ja noch nie was passiert ist – immerhin sind wir aus diesem Grauen ja schon längst rausgewachsen, nicht wahr? Dumme Fehler dummer Menschen, die uns aufgeklärten Bürgern im Informationszeitalter ja niemals nochmal passieren können.“

 

Man kann von der heutigen Politik halten was man will, kann Lobby-Verflechtungen sehen, kann sich fragen, wie viel Gewicht die Meinungen und Wünsche der Wähler für die Parteien haben. Aber man muss seine Stimme abgeben. Für Menschlichkeit. Für Freiheit. Es geht mir übrigens nicht darum, die Wähler der Parteien zu bekämpfen, die diese Werte zu unterwandern versuchen. Kampf sorgt nur für Gegenkampf und ein kämpfendes Gehirn kann Argumente nur von einer Seite betrachten. Dialog ist das Zauberwort. Und eine Warnung: Das ist nicht so leicht, wie sich das anhört. Deswegen funktioniert es so selten.

 

Ich selbst bin in Dialog mit einem Freund und ehemaligen Wähler problematischer Parteien getreten. Es war kaum auszuhalten, diese Argumente, diese Videos, diese verzerrten Informationen. Anschreien wollte ich ihn, und fragen, wie zum Teufel man nur so einen verdammten Mist glauben kann. Mein Gehirn hat eben auch gekämpft und das hab ich ihm auch gesagt. „Alter, ich halte das gerade echt fast nicht aus.“ Dann bin ich nach Hause, hab das sacken lassen, hab recherchiert und dann haben wir nochmal gequatscht. Alleine die Tatsache, dass ich ihm zugehört und ihn ernst genommen habe, hat dafür gesorgt, dass er mir daraufhin zugehört hat. Das war ein wesentlich besseres Gespräch. Wir sind uns noch immer nicht einig, aber das gehört dazu. Problematische Parteien jedenfalls wählt er heute nicht mehr.

 

Es ist ja immer blöd irgendwelche Aufrufe zu starten, „Geht wählen! Dringend! [Gewichtiges Argument und erhobenen Zeigefinger hier einfügen]“. Aber ich glaube, ich habe in diesem Artikel wirklich schon genug mahnende Oberlehrer-Zeigefinger in die Luft gestreckt. Deswegen lass ich das jetzt mal stecken und hoffe, dass all die Zeigefinger in diesem Text ihre Wirkung schon getan haben.

 

„NSA“-Cover auf dem Foto wurde von Johannes Wiebel gestaltet, Punchdesign München, unter der Verwendung von Motiven von Ozen Guney/shutterstock.com; caesart/shutterstock.com; MaxyM/shutterstock.com; Antonina Tsyganko/shutterstock.com

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