Eine Evolution der deutschen Thriller-Serie.

Über zwanzig Jahre ist es nun her, dass das deutsche Fernsehen seine ersten Gehversuche gewagt hat, um sich aus dem muffigen Fahrwasser aus „Polizeiinspektion 1“ und Co. zu befreien. Erinnert sich noch jemand an „Der Clown“? Der erste selbsternannte Teutonen-Action-Blockbuster, Prime Time auf RTL, 1996 ausgestrahlt: Ein maskierter Muskelmann heizt den Bösen mit ordentlich Keile und Feuerwerk ein – Explosionen satt, Stunts ohne Ende. Zwar ist das Ganze trashig wie sonst noch was, aber irgendwie auch unterhaltsam – und die damalige Jugend (mich eingeschlossen) goutiert diesen Versuch amerikanische Kinowerte nach Deutschland zu importieren durchaus wohlwollend – wenn auch mit einem amüsierten Grinsen.

Jetzt sind über 20 Jahre vergangen, das Fernsehen wagt sich immer wieder an neue, mutige Formate heran („Der Tatortreiniger“, „4 Blocks“), aber vor allem die Streaminganbieter haben großartige Formate im Angebot: Allen voran der unglaublich intelligent verschachtelte Zeitreise-Thriller „Dark“ auf Netflix, oder eben „Beat“ auf Amazon Prime.

 

Ein ganz normaler Regentag in Berlin.

Obwohl ich ja weiß, dass es richtig gute Geschichtenerzähler in der deutschen Serienlandschaft gibt, war ich erstmal skeptisch, als ich mir die erste Folge „Beat“ gegönnt habe. Es hat allerdings nicht lange gedauert, bis sich diese Zweifel in der verregneten Berliner Luft aufgelöst haben: Die Tür eines Tanzschuppens fliegt auf und Robert Schlag, besser bekannt als „Beat“, stolpert hinaus in einen Berliner Morgen; es ist kalt, es ist verregnet, Beat stolpert eine Stahltreppe hinab, seine Schritte verhallen darauf. Unten, unter einer verdreckten Unterführung, haben die Feiernden Schutz vor dem Regen gesucht, sie stehen in Pfützen herum, rauchen, während bereits erste Schulkinder auf der anderen Seite der Unterführung vorbeigehen, die Regenkapuzen ins Gesicht gezogen. Eines dieser Kinder bleibt stehen, sieht Beat an, der – offenbar high wie ein Opiumkönig – an der Wand herabgesunken ist. Beat spürt diesen Blick, versucht sich wieder aufzurichten, wartet dann bis der Junge weitergegangen ist, zündet sich eine Kippe an, und wankt zurück in den Club.

Eine völlig andere Welt: Techno pumpt Beats in eine pulsierende Menge, Alkohol fließt, Beat wird begrüßt, ist ein bekanntes Gesicht offenbar, er erwacht zu neuem Leben, gleitet durch Körper und Alkohol und Drogen und Sex. Es beginnt sich ein Bild abzuzeichnen, von dem Leben, das Beat führt, von seinen Überzeugungen, von seiner Leidenschaft für Musik.

 

Tote hängen an der Decke.

Und ihre Leichensäfte regnen auf die Tanzenden. Aber davon weiß Beat am Anfang noch nichts. Bei ihm taucht Emilia auf, eine kühle, rothaarige Schönheit vom Europäischen Geheimdienst ESI – und sie bietet Beat einen Job als Informanten an. Warum wissen wir am Anfang noch nicht; an die Hintergründe wird der Zuschauer Stück für Stück herangeführt. Es sind Collagen aus kleinen Geschichten: Da ist Beat und sein zielloses Leben, seine Vergangenheit im Waisenhaus, seine Gegenwart mit dem Discobesitzer Paul, der gleichzeitig Beats bester Freund ist. Da ist Emilia vom ESI, ihr undurchsichtiger Chef Christian Berkel, und da ist Philip Vosberg, Pauls neuer Partner im Disco-Geschäft, von Alexander Fehling so wunderbar eisig gespielt, dass man eine Gänsehaut bekommt.

Aber da ist auch eine Farm, irgendwo in Brandenburg, Fässer mit Säure, Wannen in denen Leichen aufgelöst werden, ein kaum fassbarer Schrecken deutet sich an, dessen Grauen mit jeder Folge bedrückender wird. Da sind Versuche von Menschlichkeit in diesem Grauen, und eine Spannung, die stellenweise kaum auszuhalten ist, besonders in den Nebengeschichten, deren Ausgang immer ungewiss ist, und die einen manchmal treffen wie ein Fausthieb in die Magengrube.

 

Blutiger Popcorn-Trip in einen Thriller Alptraum.

Ich werde nicht mehr über den Inhalt verraten. Der Weg, den Beat gehen muss , ist jedenfalls der Wahnsinn, die Inszenierung ist ein Traum, die Entwicklungen sind wendungsreich und spannend, die meisten Figuren haben eine Geschichte und erzeugen Tiefe. Ja, viele der Figuren sind überzeichnet, und man kann die stilistische Werkzeugkiste spüren, wenn Philip Vosberg eisige Monologe hält, um sein Gegenüber von irgendetwas finsterem zu überzeugen, aber das gibt der Serie genau diese angenehme Hollywood-Popcorn-Note, die mich als Zuschauer so süchtig werden lässt. Gleichzeitig sind da aber so kleine, echte Geschichten darin: Beat zum Beispiel, der wie in ein Familienmitglied in die Familie seines besten Freundes Paul einbezogen wird – diese Freundschaft und Loyalität kann man förmlich spüren!

Aber egal ob überzeichnet oder echt, die Figuren binden einen – und so bohrt sich die Furcht wie Wiederhaken ins Fleisch des Zuschauers und zieht ihn durch sieben hochspannende Episoden. Ebenfalls erfreulich: Die Story kommt zu einem Ende! Klar gäbe es noch den einen oder anderen Faden, an den man eine Anschlussstory knüpfen könnte, aber alles Entscheidende löst sich auf. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mir den Schweiß von der Stirn zu wischen, und euch alle zu beneiden, die diesen irren Techno-Thriller-Trip noch vor sich haben!

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