So fangen sie oft an, die guten Mystery Geschichten, und oft hängt hinter diesem Verbot das wahre Geheimnis, das es zu ergründen gilt. So hat auch Bernard Werber, Schriftsteller und Journalist für verschiedene Wissenschaftsmagazine, um einen solchen verbotenen Keller ein wahrhaft beeindruckendes Geheimnis geschaffen. Natürlich werde ich Euch nicht verraten, um welches Geheimnis es sich dabei handelt, aber ich werde herumposaunen, warum ich die Reise auf den Grund dieses Geheimnisses für so beeindruckend halte!
Jonathan Wells, ein arbeitsloser Ex-Schlüsseldienstler aus Paris, hat das Haus seines wunderlichen Onkels Edmond geerbt. Er weiß wenig von seinem Onkel, nur dass er ein Biologe war und unter seltsamen Umständen zu Tode gekommen ist: Ein Schwarm Wespen hat ihn aus unbekannten Gründen zu Tode gestochen.
Weil er sich wegen der Arbeitslosigkeit keine Miete leisten kann, zieht Jonathan mit Frau, Kind und Hund nur zu gerne in dieses Haus ein. Er bekommt keine weiteren Informationen von seinem Onkel, nur diesen einen Brief: „Niemals den Keller betreten!“ Eigentlich hatte Jonathan vor, sich an diese Warnung zu halten. Seiner Familie sagt er nichts davon, verweigert ihnen nur den Eintritt zum Keller mit der Begründung, er sei von Ratten verseucht. Dann jedoch zwängt sich der Familienhund durch einen Spalt in den Keller und kommt nicht mehr heraus…
Gleichzeitig dürfen wir Bel-O-Kan besuchen, eine von tausenden Ameisenstädten, die einer Ameisendynastie angehören, die vor 5000 Jahren gegründet wurde. Der Frühling bricht an, Sonnenstrahlen wärmen den Ameisenhaufen, tausende Leiber saugen die Wärmekalorien auf und erwachen aus ihrem Winterschlaf – das alles meisterhaft bildlich und glaubhaft dargestellt von Wissenschaftsjournalist und Insektenfanatiker Werber.
Ameise 327 jedenfalls wird von der Königin Bel-O-Kans auf eine Expedition ausgesandt, um Nahrung für die hungrigen Erwachten herbeizuschaffen. Dann jedoch wird die Expedition von einer unbekannten Geheimwaffe beinahe völlig ausgelöscht, nur Ameise 327 bleibt übrig. „Ein Hinterhalt der Zwergameisen!“, glaubt sie, eilt zurück in die Stadt und brüllt ihren Artgenossen die Pheromonwarnung eines drohenden Krieges zu. „Hast du Beweise?“, lautet die Pheromonfrage ihrer Genossinnen, aber Ameise 327 hat keine Beweise. Man glaubt ihr nicht. Na ja, fast. Plötzlich nämlich wird sie von einer Ameise angefallen und beinahe getötet – von einer Ameise aus ihrem eigenen Volk! Ein absolutes Unding! Ameise 327 kann sich gerade noch retten, und was ihr im Gedächtnis bleibt ist ein seltsamer Felsgeruch, den die unbekannte Angreiferin verströmt hat…
Es ist grandios, wie elegant Bernard Werber die Übergänge zwischen den Perspektiven geschaffen hat: Jonathan steht vor dem verschlossenen Keller und spürt, wie die Versuchung steigt, die Tür zu öffnen, Schnitt, Ameise 327 steht vor einem geheimnisvollen Busch, gibt gerade ihrer Versuchung nach und betritt sein Astwerk.
In diesem tollen Wechselspiel der Szenen entwickeln sich die beiden Handlungsstränge: Jonathan konnte seiner Versuchung nicht widerstehen, verschwindet immer länger im Keller, gibt alles Geld für Ameisenliteratur aus und bleibt schließlich völlig verschwunden. Also wird die Polizei geholt, Funkverkehr berichtet von seltsamen Dingen, die auf dem Weg nach unten gefunden werden, plötzlich bricht der Funkverkehr ab.
Gleichzeitig schart Ameise 327 einen kleinen Trupp um sich, um dem Geheimnis der mysteriösen Geheimwaffe auf die Spur zu kommen; aber die Ameisen mit dem Felsgeruch machen Jagd auf sie und eine Hetzjagd beginnt: Durch die Pilzfarmen des Stocks, die Kompostanlage (und Heizung der Stadt), durch vergessene Geheimgänge, in denen ihnen Wanzen und Würmer auflauern, und der gefürchtete Lomechuse-Käfer, dessen halluzinogener Nektar Ameisen völlig gefügig macht.
Natürlich erfahren wir Leser, was da in dem Keller los ist, und wir erfahren, was es mit der mysteriösen Geheimwaffe auf sich hat, Bernard Werber flicht die Handlungsfäden mit dramaturgischem Geschick höchst kunstvoll, bis in einem tollen Höhepunkt zusammenlaufen.
Science-Bio-Fantasy-Mystery-Fiction.
Oder so. „Die Ameisen“ lässt sich schwer in ein Genre fassen. Für Science Fiction zu verspielt, für Fantasy viel zu nahe an den Fakten, nur das Mystery Element ist ständig vorhanden, das große Geheimnis, das Unbekannte, das mit Erkenntnis lockt und mit Schrecken droht. Das Buch ist ein einziges Fest der Ideen, voller bunter Bilder und einem rasanten, visuellen Schreibstil. Alleine der Name vom Familienhund der Wells: Quarzazate – eine Musik in der Sprache, wie sie wohl nur die Franzosen beherrschen.
Der Kern von Werbers Können liegt jedoch in den Beschreibungen der Insektenwelt. Das ist ein Fest für die Sinne und die Vorstellungskraft! Man spürt, wie tief Werber in der Materie steckt, wie sehr er sich damit beschäftigt hat. Er weiß, wovon er redet, und schmückt es mit lustvoller Übertreibung aus. So dürfen wir Leser an epischen Ameisenkriegen teilnehmen: der Geruch von Ameisensäure und von schmelzendem Chitin ist fast spürbar, die Pheromonschreie der Verwundeten fast hörbar! Außerdem dürfen wir das Innere von Termitenhügeln bewundern, die bizarre Schönheit von Schneckensex bestaunen, mit Schaudern an den Tischmanieren bei Spinnen teilnehmen, und uns an morsenden Glühwürmchen erfreuen. Und ganz nebenbei lernt man eine Unmenge aus der faszinierenden Welt der Insekten.
Mein Fazit: Auf dem Buchcover warnt ein Rezensionszitat Neugierige vor der Lektüre dieses Buches, weil es entscheidenden Einfluss auf Verhältnis zu Ameisen und Kellern nehmen wird. Dem schließe ich mich uneingeschränkt an. Ich habe es zum Zwecke dieser Empfehlung mal wieder frisch gelesen und schon verbringe ich meine Zeit im Garten damit Ameisen bei der Arbeit zu zu sehen.
Nachwort: Eine Trilogie? Eher nicht.
Ein Wort zur Trilogie: Eigentlich wird dieser Roman immer als Auftakt zu einer Trilogie beworben und Bernard Werber versteht ihn wohl auch so. Allerdings sind die Verknüpfungen von „Die Ameisen“ zu „Der Tag der Ameisen“ und „Die Revolution der Ameisen“ nur gering, und der erste Teil kann sehr gut alleine stehen bleiben. Die beiden Fortsetzungen, (die tatsächlich gemeinsam gelesen werden müssen, wenn man sie verstehen will), halte ich persönlich allerdings für viel schwächer als den ersten Teil, und für eine Leseempfehlung reicht es von meiner Seite aus nicht. Natürlich kann ich jeden verstehen, der nach „Die Ameisen“ mehr Futter haben möchte, und ich hoffe, dass die Enttäuschung dann nicht so groß sein wird, wie bei mir.
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